aus:
-- Ann Faraday: Positive Kraft der Träume,
Gondrom-Verlag, Bindlach 1996; orig.: Dream Power, Afar
Publishers AG 1972
-- http://dreamresearch.net:
http://psych.ucsc.edu/dreams/About/calvin.html
(G.William Domhoff, domhoff@ucsc.edu), Details über
Calvin S. Hall im Lexikon der American National
Biography, Oxford University Press 1999, Verfasser: John
Garraty und Mark Carnes
Calvin Springer Hall
(meist auch einfach Calvin Hall) Tiefenpsychologe und
Traumwissenschaftler, wurde am 18. Januar 1909 als
Sohn des gleichnamigen Bundesrichters Calvin S. Hall
in Seattle (Washington State) geboren und verstarb am
4. April 1985 in Santa Cruz (Kalifornien) (Domhoff).
Lebenslauf / Biographie
Studium in Washington und an der Berkeley
Universität - Verhaltensforschung an Ratten
Hall absolvierte seine Studien in Psychologie zuerst
in Washington beim bekannten Verhaltensforscher Edwin
Guthrie. Da er in Washington einen ROTC-Pflichtkurs
verweigerte, war er gezwungen, an die Berkeley
Universität nach Kalifornien zu wechseln, wo er beim
Verhaltensforscher Edward Tolman 1930 seinen ersten
Abschluss machte. Nach weiteren drei Studienjahren bei
Tolman und Robert Tryon gelang 1933 der Abschluss mit
Ph.D. (Domhoff).
Bis dahin hatte Hall sich vor allem mit
Verhaltensexperimenten an Ratten beschäftigt. Es
gelang ihm zu beweisen, dass bei gleichem genetischen
Ausgangsmaterial verschiedene Umstände zu
verschiedenen Verhaltensgewohnheiten und
Lernfähigkeiten führen konnten (Domhoff).
Halls Studien in Psychologie und
Traumdeutung: Neue Kriterien - empirische Studien -
Volksbücher
Hall war 1935 bis 1975 einer der kreativsten
Psychologen der "USA". Sein massgebliches Lebenswerk
galt ab den 1940-er Jahren der Traumdeutung, die er
von der Klinik in eine normale, häusliche Atmosphäre
brachte, da er erkannte, dass die Menschen zu Hause
ganz andere Träume hatten als in der Klinik oder in
einem "Schlaflabor". Hall begann mit Träumen von
Studentenkollegen und hatte am Ende seines Lebens über
50'000 Traumberichte zusammengestellt (Domhoff).
Hall bestreitet, dass Träume aus Kliniken oder
Sprechzimmern überhaupt verwendbar sind und legt seit
den 1940-er Jahren eine Sammlung von Träumen "normaler
Leute" an (Faraday, S.125).
Hall führt in der
Traumforschung neue Kriterien ein:
-- der Ort ist wichtig, wo die träumende Person geträumt
hat
-- Figuren, die im realen Leben der träumenden Person
vorkommen, Gefühle und Handlungen der träumenden Person
im realen Leben werden mitberücksichtigt
-- Alter, Geschlecht und Beruf der träumenden Person
werden mitberücksichtigt (Faraday, S.125).
Hall ist der erste, der wirklich publiziert, was die
Menschen im normalen Leben wirklich träumen, mit 10'000
Träumen von Durchschnittspersonen (Faraday, S.125).
Halls empirische Studien
zeigen auf, dass die Träume der verschiedenen
Bevölkerungsgruppen auf der Welt sich eher ähneln als
unterscheiden, abgesehen von Variationen, die sich aus
kulturellen Unterschieden ergeben. Gleichzeitig fand
er bei der Häufigkeit der Traumelemente grosse
individuelle Unterschiede. Diese Unterschiede hängen
mit Umständen des täglichen Lebens, mit der
emotionalen Beschäftigung und Interessen zusammen.
Hall schlug vor, diesen Faktor als "Bindeglied"
(engl.: "continuity") zwischen Trauminhalt und
Gedanken im Wachzustand zu bezeichnen (Domhoff).
Seine Arbeit mit Traumdeutungen, die er mehrere Jahre
lang führte, oder die von ein paar anderen Personen
sogar über Jahrzehnte geführt wurden, zeigte eine
erstaunliche Beständigkeit, was die Trauminhalte
betrifft, auch wenn unbestritten einige Wechsel im
realen Leben der träumenden Personen stattfanden
(Domhoff).
Halls theoretischen, methodischen und empirischen
Studien über Träume ausserhalb der Kliniken waren
weltweit massgebend. Auf der Grundlage seiner
empirischen Traumstudien entwickelte Hall eine
Traumtheorie mit folgenden Hauptpunkten:
-- Träume drücken "Konzeptionen" des Selbst aus, über
Familienmitglieder, über den Freundeskreis, und über
die soziale Umgebung aus.
-- Träume decken Zustände auf über Schwächen,
Durchsetzungsfähigkeit, Nicht-geliebt-Sein, Dominanz,
und Feindseligkeit
-- Hall entdeckt auch eine Theorie der gleichnishaften
Traumsymbolik, die sowohl in der
Durchschnittsgesellschaft wie in der Dichtung vorkommt
(Domhoff).
Zusätzlich zu seinen vielen wissenschaftlichen
Traumpublikationen schrieb Hall zwei Volksbücher, "Traumdeutungen" (orig.:
Meaning of Dreams, 1953) und "Das Individuum und seine
Träume" (orig.: The Individual and His Dreams, 1972).
Beide wurden Bestseller und erweiterten in breiten
Schichten das Traumbewusstsein (Domhoff).
Die Traumstatistiken von Calvin Hall
-- als Traumorte überwiegen Haus, Wagen, Strasse, Laden,
weniger Arbeitsplatz, Büro oder Fabrik
-- erholsame und kreative Standorte sind in den Träumen
häufiger als Arbeit und Mühe
-- als Emotionen in den Träumen überwiegen Besorgnis,
Zorn, Traurigkeit (Faraday, S.125), freundliche
Betätigungen und glückliche Gefühle sind seltener
(Faraday, S.126)
-- die
Traumfiguren sind meist nahestehende Personen,
öffentliche Personen sind selten, und die Träume
befassen sich nur selten mit öffentlichen
Angelegenheiten (Faraday, S.126)
-- Trauminhalte sind normalerweise die träumende Person
selbst, die Konflikte und Ängste der träumenden Person,
Selbstreflexion und die Aussicht auf die Zukunft, oder
nahestehende Personen (Faraday, S.126)
-- Kindheitstraumata können sich gelegentlich in Träumen
widerspiegeln [und nur in diesen Fällen hat Freud recht,
wenn er sagt, ein Traum führe in die Kindheit zurück].
-- an den Rollen im Traum kann die träumende Person
abschätzen, wie sich der Träumer selbst sieht: Opfer,
Angreifer, stark, schwach, feige oder tapfer. Wie die
träumende Person die anderen sieht, ist auch an den
Rollen ablesbar, z.B. strengen Vater als Polizist im
Traum (Faraday, S.126)
-- fremde oder öffentliche Personen im Traum sind fast
immer Personifikationen von Eigenschaften von gewissen
Leuten (Faraday, S.126), z.B. die Mutter als Königin
oder Hexe im Traum (Faraday, S.127)
-- die Szenerie ist gemäss den Gefühlen der träumenden
Person gestaltet (Faraday, S.127).
Insgesamt erkennt Calvin Hall, dass in den Träumen
intimste und persönlichste Gedanken umgesetzt sind, in
erschreckender und zugleich aufschlussreicher Weise.
Träume decken auf und tarnen nicht. Freuds Theorie, der
Traum sei eine Tarnung, ist falsch (Faraday, S.127).
Traumdeutung
gemäss Calvin Hall
Traumbilder geben gemäss Hall auf wenig Raum in wenig
Zeit eine Unmenge an Informationen [wie bei einer
Kunstbetrachtung] (Faraday, S.128):
-- viele Träume kann man sofort beim Aufwachen selber
deuten
-- die Umgangssprache ist im Traum dieselbe wie im
"normalen Leben" (Faraday, S.127)
-- die Träume sind mitnichten entstellt, sondern die
Symbolik ist sehr präzis (Faraday, S.127) und entspricht
der Umgangssprache der träumenden Person (Faraday,
S.128)
-- Träume können direkt oder symbolisch sein. Faraday
vermutet, dass die Schlaftiefe dabei eine Rolle spielt
(Faraday, S.128)
-- Calvin Hall fragt sich nach dem Charakter der Symbole
und dem Charakter der träumenden Person, z.B. kommen
aggressive Penissymbole (Revolver) bei aggressiven
Personen vor, lebensspendende Penissymbole (Quelle)
kommen bei netteren Personen vor (Faraday, S.128).
Calvin Hall: 4
Grundregeln zur Traumdeutung
Gemäss Calvin Hall kann jeder mit ein paar einfachen
Regeln Träume selber deuten:
1. Traumbilder zeigen der träumenden Person, wie sie die
Welt sieht, wie die Dinge der träumenden Person
erscheinen.
2. Alle
Traumszenen stammen von den Strukturen der träumenden
Person selber und beziehen sich auf ihn.
3. Die träumende Person hat mehrere Vorstellungen von
der Welt, und die Träume zeigen alle Vorstellungen auf,
nicht nur eine.
4. Träume sollen in Serien gedeutet werden und nicht für
sich alleine. Ein Traum kann einen anderen komplexen
Traum erklären. Dieser Meinung war schon C.G. Jung
(Faraday, S.129).
Für "psychisch Gestörte" gelten die Regeln nicht. Sie
sollen in "fachmännische Behandlung" (Faraday, S.129).
[Dabei fragt es sich aber, wer da "gestört" ist, das
Opfer oder das kapitalistisch-gierige System: Das System
ist "gestört"].
Hall definiert 5
Grundkonflikte
Hall definiert 5 Grundkonflikte, mit denen sich jeder
Mensch befasst:
1. Konflikt zwischen Freiheit und Sicherheit
2. Konflikt zwischen Recht und Unrecht
3. Konflikt zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit
4. Konflikt zwischen Leben und Tod
5. Konflikt zwischen Liebe und Hass in der
Eltern-Kind-Beziehung (Faraday, S.135).
Lehrtätigkeit
an Universitäten und Weiterbildung:
Schlaflabor-Studien und neues Code-System mit Robert
Van de Castle
Die meiste Zeit seiner Lehrzeit verbrachte Hall an der Western
Reserve University (Cleveland, Ohio),
daneben auch an der Syracuse University (1957-59), an
der Universität von Miami (1959-60), und an der
Katholischen Universität von Nijmegen (Holland), als
ein Schüler von Fulbright (1960-61) (Domhoff).
Von 1961 bis 1965 studierte Hall am
Traumforschungsinstitut in Miami die Träume aus
Schlaflabors mit der Feststellung, dass sich die
Träume in der Nacht inhaltsmässig glichen. In dieser
Zeit revolutionierten Hall und Robert
van de Castle die objektiven Studien
über Trauminhalte mit ihrem umfassenden neuen
Code-System (Domhoff).
1966 liess sich Hall in Santa Cruz (Kalifornien) in
einen Halbruhestand versetzen, führte gleichzeitig
seine Traumforschung weiter und hielt von Zeit zu Zeit
an der örtlichen Universität Seminare ab. Er war
Co-Autor der Bücher über die Träume von Franz Kafka
und eines Kinderschänders. Er verfolgte weiterhin
seine Liebe zur grossen Literatur, zur klassischen
Musik und zur Oper, machte täglich Spaziergänge und
Fahrradfahrten dem Meer entlang, und pflegte seinen
Blumengarten. Seine Frau, Irene Hannah Sanborn, die er
1932 geheiratet hatte und von der er ab 1959 getrennt
lebte, starb vor ihm. Er hatte einen Sohn, Dovre Hall
Busch (Domhoff).
Das Werk von Calvin S. Hall ist Basis für
die Zukunft
Insgesamt gesehen war Hall neben C.G. Jung Vorreiter
in der erkenntnismässigen, individuellen Psychologie.
Halls Werk über genetische Verhaltensforschung ist
heute nur eine Fussnote in der Wissenschaft,
aber seine Traumforschung wird noch lange wegweisend
sein (Domhoff).
Literatur
Calvin
S. Hall: Handbuch der experimentellen
Psychologie (orig.: Handbook of Experimental
Psychology, 1951)
Calvin S.
Hall: Traumdeutungen (orig.: Meaning
of Dreams, 1953, Volksbuch)
Calvin S.
Hall: Handbuch über die freudianische
Psychologie (orig.: A Primer of Freudian
Psychology, 1954)
Calvin S. Hall: Theorien zur
Persönlichkeit (orig.: Theories of Personality,
1957)
Calvin S. Hall
und Robert Van de Castle: Traumanalyse
(orig.: The Content Analysis of Dreams, 1966)
Calvin S. Hall: Das Individuum und seine
Träume (orig.: The Individual and His Dreams,
1972, Volksbuch).
Calvin S.
Hall: Handbuch der jungianischen
Psychologie (orig.: A Primer of Jungian
Psychology, 1973)